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Sonntag, 23. April 2017

Zur Erinnerung an die schwerste Katastrophe im Mittelmeer und um alle Migrant*innen, die immer noch auf dem Meer sterben, nicht zu vergessen

In der Nacht zwischen dem 17. und dem 18. April 2015 haben ca. 800 Menschen ihr Leben in dem seit der Nachkriegszeit folgenschwersten Schiffsbruch im zentralen Mittelmeer verloren. Bangladesch, Eritrea, Nigeria, Somalia: Aus diesen und aus anderen Ländern kamen die Migrant*innen, die in Libyen in dem verzweifelten Versuch, Europa zu erreichen, in die Schleppkähne gestiegen sind. 




Die 27 Überlebenden erreichten den Hafen von Catania und wurden von einer Parade von Vertreter*innen der Institutionen - flankiert von Journalist*innen aus der ganzen Welt und Hunderten von Bürger*innen - empfangen. Einige Bürger*innen standen immer noch unter Schock, als wenn sie nur dann die Tragödien wahrgenommen hätten, die schon seit Jahren das Mittelmeer in ein Meer aus Blut verwandeln. Andere Bürger*innen dagegen waren schon fest entschlossen, Gerechtigkeit und sichere Überquerungswege für diejenigen zu fordern, die auf der Flucht sind und ihr Leben riskieren.


Am Morgen des 18. April 2017 wollten das Antirassistiche Netz Catania und andere Bürger*innen mit einer Symbolgeste und einer Schweigeminute der vielen Vermissten von vor zwei Jahren gedenken. Ca. 30 Menschen haben sich am Hafen Catania eingefunden. Unter uns waren mehrere Mitglieder der Besatzung des Schiffes Aquarius, das seit einigen Tagen im Hafen liegt. Diese Männer haben mit ihrer Arbeit bewiesen, dass Hilfe und Rettung auf dem Meer möglich sind. Sie waren sehr ergriffen und dankbar, diesen Moment des Gedenkens an die vielen Opfer miterleben zu dürfen und mitzugestalten, auch wenn nur mit einer Blume oder einem tröstenden Gedanken. 


Ein Moment der Andacht in Catania

Die Wichtigkeit des Erinnerns an die vielen Toten auf dem Meer und noch mehr des Nicht-Vergessen-Wollen war bei allen sehr deutlich. Gleichzeiten gingen die Landungsoperationen von mehr als Tausenden Migrant*innen zu Ende, die am Montagmorgen mit dem deutschen Schiff Rhein, das bei der Operation Sophia von Eunavformed mitmacht, angekommen waren. In den Medien waren ähnliche Erinnerungsinitiativen nicht erwähnt und die Vertreter*innen der Institutionen haben auch nur wenige Worte darüber verloren. Zu erinnern und zu berichten ist heute wichtiger denn je: In den Mainstream-Medien wird immer öfter über die Problematik der Migration nur unter dem Sicherheitsaspekt gesprochen und es wird zunehmend schwieriger, die Gründe der Flucht und deren Modalitäten zu verstehen. Oft werden dabei die humanitären Verpflichtungen, die die europäischen Staaten den Migrant*innen gegenüber haben, außer Sicht gelassen.

Das Schiff Rhein in Catania

In der letzten Woche sind ca. 8500 Migrant*innen gerettet worden, die in den wichtigsten Häfen Siziliens, aber auch in Sardinien und Kalabrien angekommen sind. Die ersten Patrouillenboote der Libyschen Küstenwache werden demnächst von Italien losfahren, um dort dem Menschenhandel entgegenzuwirken, den genau die Abschottung der Festung Europa begünstigt. Die Kriminalisierungskampagne gegen die humanitären Schiffe wird pausenlos fortgesetzt: Diffamierende Zeitungsartikel, polemische Äußerungen im Fernsehen und in den Zeitungen sind die Folgen. In der Zwischenzeit lädt die Verteidigungskommission des Senats die NGOs, die auf dem Meer ihre Rettungsaktionen durchführen, der Reihe nach zu Anhörungen ein und verlangt Klarheit über ihr Handeln. Aber wieder einmal sind es die Geflüchteten, die aufgrund dieser Politik der Repression und der Abschottung den höchsten Preis zu zahlen haben.

In der Tat sind während der letzten Rettungsaktionen unweit der libyschen Küste mehr als zwanzig Menschen gestorben. Die Toten sind keiner Erwähnung mehr wert und die Landungsoperationen, bei denen Tausende von Migrant*innen ankommen und über die wir in anderen Berichten sprechen werden, haben die komplette Unmenschlichkeit dieses Systems hervorgehoben. Der humanitäre Beistand ist mehr denn je der Willkür der Prioritäten ausgesetzt, die der Kontrolle und Sicherheit durch die italienischen Polizeikräfte den Vorrang geben.

Wer ankommt berichtet über Tote und Vermisste und beschreibt die Schwierigkeiten der Rettungsoperationen auf dem Meer. Das Schiff Aquarius hat am 15. April einen Leichnam zum Hafen Pozzallo gebracht, weitere 7 Leichname sind am 19. in Augusta und am Tag davor ist eine weitere Laiche in Vibo Valentia angekommen. Unter ihnen waren zwei Minderjährige, die weit weg von ihrem Haus und von ihrer Familie gestorben sind, getötet von der ihnen verwehrten Möglichkeit, sich eine bessere Zukunft aufzubauen. Zwei Jahren sind seit dem größen Schiffbruch vergangen, aber das Sterben geht weiter. Wir können und dürfen das nicht vergessen.


Lucia Borghi
Borderline Sicilia


Aus dem Italienischen von A. Monteggia übersetzt